Ich erinnere mich noch sehr gut an meine erste Yogastunde und die Wirkung, die sie auf mich hatte. Dem angenehmen Gefühl der Dehnung folgte der Durchbruch schließlich in der Taube. Versunken in der Tiefe dieser hüftöffnenden Haltung passierte endlich das, was scheinbar so lange liegen geblieben war. Mitten in der Yogastunde (zugegebenermaßen auch getriggert von der stimmigen Playlist der Lehrerin) konnte ich jegliche emotionale Blockade lösen, die mich zu Tränen rührte und gleichzeitig so viel mehr Raum in meinem unteren Rücken schaffte. Ewig hätte ich an diesem Platz bleiben können. Seither ist jede Yin Yoga Stunde, die ich besuchen oder unterrichten kann ein besonderes Highlight meiner Praxis. Vielleicht nicht immer ein Durchbruch, aber zumindest ein Ort, der es mir ermöglicht bei mir zu sein, frei zu atmen und mich meinen Gefühlen hinzugeben.
Yin Yoga – Exkurs in fernöstliche Sphären
Ins Leben gerufen wurde Yin Yoga 1980 von Paulie Zink, einem Anhänger des Hatha und Tao Yoga. Durch seinen Bezug zum fernöstlichen Kampfsport ließ er Erkenntnisse aus der chinesischen Medizin und Aspekten der Meridiane einfließen. Kein Wunder also, dass heute gesagt wird, dass eine Yin Yoga Praxis wie eine Akupunktur Behandlung wirken und somit direkten Einfluss auf die Organtätigkeiten haben kann!
Richtig Leben eingehaucht wurde dem Konzept schließlich durch den US-Amerikaner Paul Grilley. Schon während seines anatomischen Studiums entwickelte der Faszien-Fanatiker seine Affinität für den menschlichen Körper. Ursprünglich aus dem aktiven Ashtanga Yoga ließ er sich von Paulie Zink persönlich unterrichten. Gemeinsam mit seiner Schülerin Sarah Powers entwickelten sie das Konzept weiter und gaben ihm die weibliche Energie, die das Yin Yoga heute durch seinen kühlenden und passiven Charakter auszeichnet.
Paul Grilley, der als wahrer Faszien Fanatiker bekannt ist, wurde für seine anatomische Arbeit am menschlichen Körper ausgezeichnet. Weltweit pilgern Yoga Lehrer zu seinen Fortbildungen, um sich vom Yin Yoga Meister persönlich ausbilden zu lassen.
Yin Yoga & Faszien
Die Yin Yoga Haltungen werden zum Großteil im Sitzen oder Liegen eingenommen. Um richtig in der Position ankommen zu können, wird für drei bis fünf Minuten in den Asanas verharrt.
Das langatmige Halten der Posen ermöglicht es in die tieferen Strukturen des Gewebes vorzudringen und somit Einfluss auf die Faszien zu nehmen. Durch die tiefe Atmung, die auch in anderen Yogastilen geübt wird, können Energieflüsse gezielt gelenkt, Räume zwischen den Gelenken geöffnet und muskuläre Verspannungen gelöst werden.
Yin Yoga & Mindest
Yin Yoga nimmt nicht nur Einfluss auf körperlicher Ebene, sondern kann auch emotionale Blockaden lösen. Wer schon einmal für 3-5 Minuten in einer hüftöffnenden Yin Yoga Haltung gesessen hat, weiß, auf welche Widerstände man sowohl muskulär als auch mental stoßen kann.
Das tiefe Atmen signalisiert dem Nervensystem Ruhe und Gelassenheit, die sich mit der Zeit auch auf die Muskulatur überträgt. Nach der ersten Minuten, die uns im Kopf meist eher mit dem schmerzlichen Ziehen im unteren Rücken beschäftigt, können wir uns also auch anderen Themen widmen.
Wer offen ist, um sich der emotionalen Ebene zu zu wenden, wird im Yin Yoga also auch auf andere interessante Themen stoßen, die im Alltag oft “liegen bleiben” und sich schließlich in körperlichen Schichten – wie dem Schmerz im unteren Rücken eben – manifestieren.
Wieder einmal der Beweis, dass Körper, Geist & seelisches Wohlbefinden unmittelbar zusammen gehören und ein weiterer Weg zu einem harmonischen Zusammenspiel von Body, Mind & Soul.
Yin Yoga Haltungen
Balasana

Balasana – oder auch die Haltung des Kindes – ist wahrscheinlich die Königin aller Yin Haltungen und wird gern auch als Ausgleichspose in der gewöhnlichen Yang-Praxis beim Yoga eingenommen.
Lies mehr über das Kind hier.
Pashimottanasana

Komme in einen aufrechten Sitz. Atme ein, um die Arme lang in Richtung zu strecken und den Rücken somit einmal in die Länge zu ziehen.
Lasse dich dann ausatmend langsam über die Beine sinken. Sollte das Ziehen in den Beinrückseiten zu stark sein, lasse die Knie leicht gebeugt. Bei Schmerzen im unteren Rücken, schiebe dir ein Kissen oder eine gefaltete Decke unter das Gesäß.
Spüre einatmend die Öffnung in den Körperseiten, den Flanken und zwischen den Rippen. Lasse mit jeder Ausatmung Schultern und Kopf schwerer werden, um dich von muskulären Anspannungen im Rücken, im Nacken und zwischen den Schulterblättern zu verabschieden.
Sphinx

Komme in eine Bauchlage. Lasse deine Beine lang und die Fußrücken abgelegt!
Stelle deine Unterarme auf und halte die Arme in einem rechten Winkel.
Ziehe die Ellenbogen sanft zurück und hebe die Brust mit jeder Einatmung etwas höher.
Durch den tiefen Atem schaffst du in dieser Haltung mehr Raum in den Körperseiten sowie Platz im Herzen.
Supta Baddha Konasana

Starte in einer Rückenlage, die Füße aufgestellt.
Lasse die Knie sanft auseinander kippen, die Füße dabei aneinander.
Sollte sich dies unangenehm im unteren Rücken anfühlen, lege dir eine Decke, Kissen oder die Hände unter deine Oberschenkel.
Wenn sich die Öffnung der Hüften besonders angenehm für dich anfühlt, kannst du deine Hände auch zum sanften Beschweren auf deine Oberschenkelinnenseiten legen.
Diese Haltung öffnet die Hüftgelenke, entspannt die Leisten und die Hüftbeuger, die vor allem durch vieles Sitzen im Alltag oft verkürzt sind, und sich langfristig durch Schmerzen im unteren Rücken äußern.
Twist

Starte in einer Rückenlage, die Füße aufgestellt, die Knie zusammen. Hebe das Becken ein paar Zentimeter vom Boden ab und schwing die Hüfte sanft nach rechts, um sie dort abzulegen. Lasse nun die Knie zur anderen Seite kippen. Hebe den Kopf und drehe ihn in die Gegenrichtung deiner Beine.
Schließe die Augen und atme so tief du kannst in den Brustraum. Mit jeder Ausatmung erlaube deinem Becken und deinem Schultergürtel schwerer zu werden.
Der sanfte Twist in der Wirbelsäule ermöglicht es uns die Muskulatur zu entspannen, die für das Tragen unseres Rumpfes zuständig ist und im unteren Rücken zu entspannen.
Viparita Karani

Im Yin Yoga wird viel mit Hilfsmitteln gearbeitet, die es uns ermöglichen, in die für uns richtige Position zu kommen. Nur wer richtig in einer Haltung ankommt, kann sich auf allen Ebenen darauf einlassen.
Bei Viparita Karani, dem unterstütztem Schulterstand schieben wir uns einen Yogablock, eine gerollte Decke oder ein hohes Kissen unter das Gesäß, um die Beine über den Hüften schweben zu lassen.
Die Beine schweben hier über dem erhöhten Becken, sodass das Blut aus den Füßen zurück zum Herzen fließen kann.
Diese Haltung hat eine sowohl vitalisierende als auch beruhigende Wirkung auf das Nervensystem und fördert die Regeneration.
Fotos und mehr Übungen:

Hatha Yoga – Das komplette Buch. Martina Mittag.
Erschienen: Mai 2018 im Meyer & Meyer Verlag.