Vor rund 2000 Jahren schrieb Patanjali die wohl erste Bedienungsanleitung für Yogis. Bis heute gelten die Yogasutras weltweit als Standardwerk für Schüler der Yogaphilosophie sowie als Leitfaden für die spirituelle Praxis im Alltag.
Die Yoga Philosophie blickt auf eine Entstehunggeschichte zurück, die sich über die letzten Jahrtausende in die unterschiedlichsten Richtungen entwickelt hat. Sage Patanjali war dabei der erste, der mit seinen Yogasutras eine systematische Zusammenfassung der bis dato gesammelten Erkenntnisse spiritueller Praktiken und Bewusstseinserweiterung niederschrieb.
Sutra bedeutet Faden und bietet somit auch der Leserin und dem Leser eine Art Leitfaden durch die Yogapraxis. In fast 200 Sanskrit Versen erklärt Patanjali step by step den Weg zum spirituellen Erwachen.
Da die Sutras sprachlich sehr kompakt gehalten sind bieten sie einen recht großen Spielraum für die persönliche Interpretation. Dies wird in den vielen Übersetzungen ersichtlich, die es mittlerweile weltweit gibt. Das wiederholte Lesen und Rezitieren der verschiedenen Sutras ermöglicht eine tiefe Auseinandersetzung, die es der Leserin und dem Leser ermöglicht, die niedergeschriebenen Erkenntnisse zur Selbstreflexion zu nutzen und die eigene Praxis zu bereichern.
Anders als andere schriftlichen Quellen der indischen Philosophie geht es bei den Sutras um die inhaltliche Gewichtung. Während Schriften, wie die Upanishaden oder die Bhagavad Gita, auf Erkenntnisse in Form von Mantren oder Mythen zurückgreifen, bieten die Yoga Sutras einen klar strukturierten Überblick über das systematische Vorgehen zum spirituellen Wachstum.
Der achtgliedrige Pfad des Yoga
Nach Patanjalis Methode begegnen dem Praktizierendem acht Stufen auf dem Weg zur höchsten Bewusstseinsebene. Der achtgliedrige Pfad des Yoga ist Ursprung des von Patthabi Jois begründetem Ashtanga Yoga, welches wiederum philosophische Grundlage für die Vinyasa Flows sind, die uns mittlerweile nicht nur in Yoga-, sondern auch in Fitnessstudios begegnen.
#1 Yama
Die Yamas beziehen sich auf den moralischen und ethischen Standards eines yogischen Lebensstils und lassen sich in folgende Kategorien unterteilen:
Ahimsa (Gewaltlosigkeit), Satyha (Wahrhaftigkeit), Asteya (Nicht-Stehlen), Brahmacharya (Enthaltsamkeit), Aparigraha (Nicht-Anhaften)
#2 Niyama
Auch die Niyamas gelten als disziplinäre Grundvoraussetzungen für den Yoga Lebensweg und lassen sich entsprechend in verschiedene Bereiche gliedern:
Sauca (Reinheit), Santosha (Zufriedenheit), Tapas (Disziplin), Svadyhaya (Selbststudium), Ishvarapranidhana (Hingabe an das Höhere)
#3 Asana
Asana haben für die Yogapraxis in der westlichen Welt wohl den höchsten Stellenwert, obwohl sie auf dem tradItionellen Yogapfad nur als Mittel zum Zweck genutzt werden. Die körperlichen Haltungen dienen in erster Linie der physischen Gesundheit, denn: nur wer gesund ist kann sich voll und ganz der spirituellen Praxis hingeben.
Des Weiteren sind die Übungen auf die Mobilisierung und Öffnung der Gelenke ausgerichtet, die es dem Yogi ermöglichen sollen einen aufrechten und bequemen Sitz in der Meditation zu finden. Vielen Suchenden in der westlichen Welt wird der Weg zum höheren Bewusstsein schon durch körperliche Beschwerden blockiert.
Lies mehr zum Thema Asanas und dem darauf basierendem Hatha Yoga.
#4 Pranayama
Im Yoga wird die ominipräsente Lebensenergie als Prana bezeichnet. Alles was wir sind und was uns umgibt setzt sich aus dieser Kraft zusammen. Um das Prana kontrollieren zu können nutzen Yogis den Atem, der als greifbarste Manifestation im menschlichen Organismus gilt.
Durch Übungen, die der Atemkontrolle dienen, kann laut Yoga das Prana gesteuert und mutwillig eingesetzt werden, um empfänglicher für feinstoffliche Prozesse und höhere Bewusstseinsebenen zu werden.
#5 Pratyahara
Gelingt es dem Yogi für längere Zeit im Meditationssitz zu verweilen und das Prana für seine Zwecke zu kontrollieren folgt der nächste Schritt: Der Rückzug der Sinne.
Sind körperliche Hürden überwunden und der Atem kontrolliert kehren meist die Sinne als Unterbrechung der inneren Ruhe ein. Geräusche, Düfte und andere äußere Eindrücke dringen in unser Bewusstsein ein und unterbrechen die innere Stille, die für das Erreichen der nächsten Stufe notwendig ist.
Natürlich haben wir nicht immer Einfluss auf die äußeren Umstände, die Geräusche aus der Nachbarswohunung oder dem Lärm der Hauptstraße. Eine ruhige und ungestörte Umgebung ist daher eine große Hilfe, um in den meditativen Zustand zu gelangen bis der Praktizierende so weit fortgeschritten ist, die innere Ruhe auch im Chaos der äußeren Umstände zu finden 😉
#6 Dharana
Ist es dem Yogi gelungen die äußeren Umstände auszublenden und in die Introspektive zu kehren beginnt der eigentliche Prozess der Meditation. Dharana bedeutet Konzentration und ist der erste Schritt in den meditativen Geisteszustand.
In jeder Tradition werden unterschiedliche Techniken angewandt, um den Geist zu fokussieren und in den Zustand vollkommener Konzentration zu kommen, der uns dem eigentlichen Ziel näher bringen soll. Im Raja Yoga, welches dem technischen Sinne der Yogasutras am nächsten kommt, wird dem Praktizierendem empfohlen sich auf den Punkt zwischen den Augenbrauen zu konzentrieren, der als spirituelles Zentrum oder auch als drittes Auge bezeichnet wird.
#7 Dhyana
Der nächste Schritt auf dem achtgliedrigen Pfad des Yoga wendet sich schließlich der Meditation zu. Erst wenn der Geist erlernt hat sich auf einen Punkt zu konzentrieren kann die Ruhe einkehren, die für eine zweckgemäße Meditation benötigt wird.
#8 Samadhi
Die höchste Bewusstseinsstufe, die beim Yoga angestrebt wird, nennt sich Samadhi. Ist dieser Zustand erreicht, spricht man auch vom Überbewusstsein (im Englischen als Superconsciousness bekannt).
Fotos aus:
Hatha Yoga – Das komplette Buch. Martina Mittag.
Erschienen: Mai 2018 im Meyer & Meyer Verlag.