Bereits vor über 2000 Jahren gab Patanjali mit seinen Yogasutras einen von vielen bis heute genutzten Leitfaden auf dem Yogaweg. Mittlerweile hat Hatha Yoga aber auch Einzug in die Kurspläne unserer Fitnessstudios und Sportvereine gefunden, ohne, dass die meisten eine tiefere Bedeutung dahinter erwarten.
Hatha Yoga als harmonischer Ausgleich
Der Begriff Hatha kann mit dem Wort Gewalt übersetzt werden. Unterschieden wird dabei gern zwischen der männlichen Sonnenkraft HA und der weiblichen Mondenergie THA. Hatha Yoga zielt auf einen harmonischen Ausgleich zwischen diesen zwei Energien ab. Erreicht wird dies durch eine physische Praxis, die sich vor allem durch das Ausführen von Asanas (Yogahaltungen) und Pranayama (in diesem Zusammenhang Atemübungen) auszeichnet. Hauptwerkzeug dabei ist der Körper weshalb der Name Hatha Yoga heutzutage gern als Überbegriff für diverse physische Yogapraktiken oder das heute darunter bekannte Mattenturnen genutzt wird.
Hatha Yoga als spirituelles Upgrade
Ziel jeder traditionellen Yogaform ist die spirituelle Entwicklung, die den Praktizierenden zur Erleuchtung führen soll. Während andere ursprüngliche Yogawege wie Karma, Bhakti oder Jnana Yoga den Schwerpunkt auf Persönlichkeitsentwicklung, Gottesanbetung oder intellektuelles Wissen legen, wird im Hatha Yoga der Körper genutzt, um das spirituelle Bewusstsein zu erweitern.
Als Teil des Raja Yoga wird im Hatha Yoga das Prana (Lebensenergie) durch Atemkontrolle und Asanapraxis angeregt. In der Hatha Yoga Pradipika, die als eine der Standardwerke des Hatha Yoga gilt, werden darüberhinaus Shatkryias (Reinigungstechniken) angewandt, um den Körper frei von Krankheit zu halten. Generell gilt im Hatha Yoga: Der Körper ist das Zuhause der Seele und sollte deshalb rein und fresh gehalten werden 😉
Hatha Yoga als Meditations Warm Up
Als Sportersatz oder Hausfrauengymnastik sollte man Hatha Yoga jedoch nicht betrachten. Zwar erfordern die durchaus komplexen Yogahaltungen ein hohes Maß an Selbstbewusstsein und Körperkontrolle, dennoch sollen sie vor allem auf eines vorbereiten: Die Meditation. Erst wenn wir in Stille sitzen und uns dem Wesentlichen zuwenden kann sich der Geist beruhigen und Raum für das spirituelle Wachstum schaffen.
Wer ein mal länger als fünf Minuten im Meditationssitz verbracht hat weiß vielleicht wie schnell Beine und Rücken sich bemerkbar machen. Die Grundvoraussetzung für eine ungestörte Meditation ist es also Hüften und Wirbelsäule für einen aufrechten (!) Sitz mit gekreuzten Beinen vorzubereiten.
Hatha Yoga als Matten Workout
In der alten Literatur wird man deshalb nur einige wenige Asanas finden, die eben genau auf diesen Zweck abzielen. Doch woher kommen dann nur all die fancy Posen, die wir von Instagram kennen? Einer der Pioniere des Hatha Yoga, der maßgeblich für sämtliche Verrenkungen im Vereinsyoga verantwortlich ist, war unter dem Namen BKS Iyengar bekannt. Nach ihm wurde sogar ein ganzer Yogastil benannt. Im Iyengar Yoga wird strengstens auf präzise Ausrichtung der Haltungen geachtet und daher gern mit Hilfsmitteln, wie Klötzen, Gurten oder speziellen Stühlen gearbeitet. Generell zielen Sonnengruß und Co auf die Beweglichkeit der Wirbelsäule, die Öffnung der Hüften und die Kräftigung des Rückens ab.
Die Posen, die Iyengar in seinem Buch Licht auf Hatha Yoga noch im hohen Alter selbst vorturnt mögen dem ein oder anderen westlichen Fitnessstudiobesucher schlichtweg utopisch und für den eigenen Körper unpassend erscheinen. Von der persönlichen Entwicklung abhalten sollten diese – wohlgemerkt an dem damals indischen Körper orientierten – Posen aber nicht. Eines meiner liebsten Zitate des Swami Vivekananda, dem Autor des Sammelwerkes The Complete Book of Yoga, nämlich besagt: “There is no other teacher but your own soul.”
Weitere Artikel zum Thema:
Warum wir Hatha Yoga üben. Kristin Rübensam – Yoga Easy.
Literatur:
Hatha Yoga – Das komplette Buch. Martina Mittag.
Licht auf Hatha Yoga. BKS Iyengar.
Hatha Yoga Pradipika. Swatmarama.
Patanjalis Yogasutra – Der Königsweg zu einem weisen Leben. Deutsche Übersetzung von Ralph Skuban.
The Complete Book of Yoga. Swami Vivekananda.
Fotos aus:
Hatha Yoga – Das komplette Buch. Martina Mittag.
Erschienen: Mai 2018 im Meyer & Meyer Verlag.